Zugleich eine Vogelschutzplauderei von Lehrer H. Dietrich.
Mit Pfannkuchenduft, Bockbierfest und Maskenball hat der Februar wieder seinen Einzug gehalten! Dazu hat er noch ein Gesicht gemacht, das nur so strahlt von Vorfrühlingssonnenschein! Wenn es nach der schmucken Kohlmeise in schwarzgelber Weste ginge, die mir allmorgendlich ihr „fitzida, fitzida“ in mein Klassenzimmer hereinruft. – der Lenz wäre bestimmt schon da! Ihre kleinere Schwester mit dem schwarzen Scheitel, Frau Sumpfmeise, ist ohne Zweifel derselben Meinung, und sogar die Amsel hat schon ein Frühlingslied probiert. Allein, was ein rechter Gebirgler ist, der versteht sich aufs Wetter und traut dem Landfrieden noch nicht so recht, dieweil es schon oft genug im März noch recht weiß ausgesehen! Komme, was da wolle – ein Stück näher sind wir ihm doch gerückt, dem Frühlingserwachen. Wenige Wochen noch, und wieder wird es sich vor den Augen des Naturfreundes erneuern, das uralte Wunder des Frühlings-Vogelzugs, der Heimkehr all unserer gefiederten Freunde! Einer der ersten, die da wieder in der deutschen Heimat landen, ist unser Freund Starmatz. Was kümmert es ihn, ob sich die Männer der Wissenschaft über der Lösung des Vogelzugproblems in die Haare fahren – er hälts eben nicht mehr aus am Gestade des Nils, fern drüben in Afrika! Ein unwiderstehlicher Drang treibt ihn nordwärts, läßt ihn ungeachtet der vielen Gefahren mit Lerchen und Drosseln wetteifern, der erste zu sein in der Heimat, jenseits des Mittelmeeres. Seine afrikanischen Vettern freilich, die Herren Glanzstare, können sein Reisefieber nicht verstehen und lassen sich lieber das ganze Jahr hindurch die Tropensonne aufs buntschillernde Gefieder brennen. Wir aber spähen in diesen Wochen gar oft hinauf zu dem schlichten Bretthäuschen oder horchen am Morgen gespannt zum Fenster hinaus, ob sich das lustige Gejodel und Schnalzen der Ankömmlinge nicht vernehmen läßt. Denn er ist uns ans Herz gewachsen, der kleine Kerl, weil er es wie wenige andere Vögel verstanden hat, der Kultur zu trotzen und sich ihr anzupassen – der Kultur, die leider so manchem Naturgeschöpf den Garaus gemacht hat, ihm die Lebensmöglichkeit abgeschnitten hat.
Na, und eines schönen Morgens ist er eben wieder da, der „Sprien“, wie ihn die Norddeutschen noch seinem Lieblingsruf zu nennen pflegen. Hoch oben auf dem höchsten Zacken des noch winterlich kahlen Baumes hat er Posten gefaßt, daß er den Sonnenaufgang ja nicht verfehle. Dann aber entströmts der kleinen Kehle, das Lob der Heimat! Wahr ist´s – alles klingt nicht eben sehr musikalisch, was da zum Vorschein kommt, und säße er im Walde, die Konkurrenz der anderen Sänger würde ihn bald verstummen lassen! Aber wer ihn so sitzen sieht, wie er den Kopf dreht und wendet, wie er mit den Flügeln den Takt schlägt, der weiß wirklich nicht, was zuerst zerspringen möchte vor Lenzeshoffnung, das kleine Vogelherz oder die dicken braunen Kastanienknospen! Denn unser Star ist ein wahrer Stimmbänderakrobat und Komiker dazu. Bald jodelt er wie unsere Kuhjungen im Herbst, bald schnarcht und schnalzt er, bald quietscht er wie eine Haustür, die man schon recht lange zu schmieren vergessen. Am liebsten aber ahmt er andere Vögel nach. Dem Vogelkundigen zählt er in seinen musikalischen Ergüssen die ganze Vogelnachbarschaft auf. Bald schnarcht er wie der Hausrotschwanz, bald flötet er wie die Amsel. Der probiert fleißig das „fiffiffiff frühh“ der Goldammer, jener macht den Katzenschrei des Bussards. Einer unten auf der Talstraße imitierte voriges Jahr mit Eifer den gickernden Ruf des Nachbars Turmfalk. Schaut nur hinauf, wie herrlich ihm sein Hochzeitsröcklein steht, wie es in der Morgensonne grün und purpurn schillert! Und dabei hat diese Robe schon manchen Sturm erlebt und ist, genauer besehen, eigentlich schon recht abgenutzt. Als nämlich unser Freund im vorigen Herbste von uns Abschied nahm als Perlstar, da hatte er denselben Anzug an, nur daß er damals weiß getüpfelt war, weil jede Feder eine weiße Spitze hatte. Diese weißen Tüpfelchen sind längst hinüber, und dabei sieht der Bursche noch vornehmer aus denn damals im Herbst! Das soll ihm mal einer nachmachen! – Unser Starmatz ist eben ein kleiner Philosoph und pfeift sich eins auf diese schnöde Welt! Dabei hat er gleich bei seiner Ankunft großen Aerger gehabt. Denn ehe es ihm möglich war, sein altes Heim zu beziehen, war eine ziemlich energische Zwangsausquartierung nötig, dieweil so ein frecher Spatzenlümmel sich eingebildet hatte, die Villa Kastanienbaum sei für ihn gebaut! Kann man es angesichts solcher Mißstände den Staren verdenken, wenn viele von ihnen auf die Afrikareise verzichten und auch den Winter bei uns verbringen, wie ich es unten im Flachlande des öfteren beobachtet habe! – Der beste Beweis, wie sehr sich der Mensch des Staren angenommen hat, in der erzgebirgischen Heimat wie allerorten, sind die Starkästen oder Starmesten! Eine der ältesten Bemerkungen darüber dürfte der bereits früher erwähnte, 1699 erschienene „Historische Schauplatz“ Christian Lehmanns enthalten. Wir lesen darin, daß die Staren „in hohlen Stöcken und Eichenen Büschlein, anderswo in Häuslein auf den Bäumen“ nisten. Im gleichen Werke fand ich übrigens auch schon einige Bemerkungen über abgerichtete Stare. – Sonstige Bemerkungen über Starkästen liegen, wie Braeß in der Monatsschrift für Heimatschutz ausführt, aus dem 18. Jahrhundert vor. – Könnte unser Sprien die menschliche Sprache verstehen, er würde uns jetzt bestimmt zurufen: Tut euch nicht gar zu groß mit euren Starkästen! Meint ihr, wir wüßten nicht, wozu noch vor 60 Jahren die Dinger auf den Bäumen hingen? Damit unsere halbflüggen Sprößlinge in eure Kochtöpfe wandern konnten! Leider haben tatsächlich in alter Zeit die Starkästen diesem Zwecke gedient, und erst allmählich brach sich das Interesse am Vogelschutz Bahn. Heutzutage werden freilich wohl die weitaus meisten Starenkinder im luftigen Bretterhäuschen ihr irdisches Dasein beginnen, und nur die ganz Konservativen der Starensippe logieren noch heute im grünen Waldesdom, wo ihnen ganz besonders verlassene Spechthöhlen willkommene Quartiere sind. Von dieser Beobachtungstatsache ging übrigens der verdienstvollste und eifrigste Vorkämpfer des Vogelschutzes aus: Freiherr von Berlepsch, und baute künstliche Nisthöhlen, denen am Schluß noch einige Worte gewidmet werden sollen. –
Mit Siegermiene zirkelt unterdessen unser Sprien mit Hilfe des gelben Schnabels, der sich übrigens im Laufe des Sommers schwarz färbt, die Größe seiner Haustür ab, wenn er das auch schon hundertmal getan hat und ganz genau weiß, daß er wie auch seine Eheliebste bequem hindurchschlüpfen können! Dann aber wird auf der Wiese nach Insekten und kleinen Schnecken herumgestochert. Viele Kirschbaumbesitzer sind dem Star sehr übel gesinnt wegen seiner Spitzbübereien. So groß dürfte jedoch der Schaden im Vergleich zum großen Nutzen denn doch nicht sein. Einmal sind ja die Kirschen zur Zeit des größten Nahrungsverbrauchs des Staren, das ist doch die Zeit der Jungenfütterung, meistens noch gar nicht reif, und außerdem treten in der Kirschenzeit die Stare auch nur paarweise auf. Der Weingärtner freilich hat da viel eher Grund zu klagen, denn dem können die Starenschwärme wirklich höchst unangenehm werden. – Hat erst die Aprilsonne die Maßliebchen und Dotterblumen hervorgelockt, dann ziert auch der Star sein Brautgemach mit Blumenschmuck, und wenige Tage später sitzt die Starin auf den 5 – 6 Eiern, die in ca. 14 Tagen auskommen. Die blaßblaue Farbe der Eier gibt dem Naturfreund zu denken. Sind doch die Eier der allermeisten Höhlenbrüter rein weiß, da sie keiner Schutzfarbe bedürfen. Die blaue Farbe ist also ein Beweis dafür, daß der Star nicht immer ein Höhlenbrüter gewesen ist. – Sind die Jungen einmal zum Leben erweckt, so gibt´s bei den alten alle Schnäbel voll Arbeit, was unserem Starenvater aber keineswegs seine gute Laune nimmt, ja, die Unternehmungslustigsten seiner Sippe riskieren es sogar, diese Elternfreuden zweimal im Jahre durchzumachen. Den Sprößlingen wird´s bald zu eng im finsteren Kasten, und ehe man´s gedacht, sind sie draußen. Fahl graubraun sehen sie aus. Sind sie einmal flügge, so bedeutet ihnen der Herr Papa, wenn es sein muß auch mit dem nötigen Schnabelnachdruck, daß sie sich nun selbst zu bekümmern hätten und sich nun draußen in der Welt den Schnabel zurechtrücken lassen möchten! – Eine Maßnahme, die vielleicht auch manchem Jungbursch nichts schaden dürfte. Die Starenjünglinge und -jungfrauen lassen es sich nicht zweimal heißen. Mit Altersgenossen der Nachbarsfamilien sammeln sie sich zu großen Schwärmen und stürmen in die Welt hinaus. Mit echt jugendlichem Ungestüm können sie natürlich auch den Tag der Herbstabreise nicht erwarten, sondern sie machen sich allein auf die Wanderschaft, ungeachtet, daß gerade von ihnen die meisten ihre Unbedachtheit mit dem Tode büßen müssen. Aber auch die Alten leidet´s nicht mehr lange im wieder still gewordenen Heim. Wenn einmal der August gekommen ist, dann schließen auch sie sich zu großen Scharen zusammen und streifen unstett umher. Das ist dann die Zeit, wo sie der Weingärtner zum Teufel wünscht. Im Schilf und Rohr aber schlagen sie ihr Nachtasyl auf, und wir bekommen sie oft lange nicht zu sehen. Erst wenn die Herbstnebel dichter fallen, wenn Reif die sterbende Flur bedeckt, erblicken wir sie noch einmal zum Abschied, jetzt aber bereits im weißgesprenkelten Reisekostüm. Dann aber treibt sie die gleiche magische Kraft gen Mittag hin, die sie uns im Frühjahr wiederbringt! –
Schlettauer Heimatblätter. 1. Jahrgang, Nr. 6 v. 15. Februar 1926, S. 10 – 11