Von Oberlehrer Gustav Röhling.
In der Sitzung am 26. Januar wurde die Frage laut: Könnten wir uns nicht auch im Figurenschnitzen versuchen? Von da an wurden jeden Donnerstag abend Schnitzmesser und Lindenholz zur Hand genommen und probiert, und siehe da, es ging. Wohl war unter unseren ersten Fabrikaten manch mißlungenes Stück – schade um´s schöne Holz –, doch eingedenk des Sprichwortes: „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“ wurde emsig und mit Fleiß sich bemühend weitergeschnitzt. Unsere erste Ausstellung vom 3. – 5. Dezember 1921 im Schulfestzimmer, an die wir bangen Herzens herangegangen waren, brachte uns einen ungeahnten Erfolg, wie ihn wohl selten ein derartiges Unternehmen aufzuweisen hat. Jetzt hatten wir Grund zu hoffen. Angespornt durch das Lob sowohl einheimischer als auch fremder Beschauer arbeiteten wir mit Lust und Liebe weiter. Der Höhepunkt einer Jahresarbeit ist immer unsere Ausstellung. Advent ruft auch uns Schnitzer zur Stelle. Die fünfte Schau – in den Tagen vom 5. – 7. Dezember 1925 – liegt hinter uns. Wenn sie auch nicht in dem Maße beschickt war wie die früheren, beachtliche Fortschritte in der Auffassung und Darstellung konnten immer wieder beobachtet werden. Ich wollte, ich könnte Dich einmal hineinführen in unsere weihnachtlich geschmückten Räume (seit 3 Jahren stellen wir in den Gastzimmern des Schützenhauses aus). Wie so manchem Schlettauer, der fremd geworden, zur Zeit unserer Ausstellung aber gerade in der Heimat weilt, würde auch Dir das Herz weit werden beim Schauen. Manch Figürlein wandert als Heimatandenken mit hinaus in die fremde Welt.
Hoffentlich verschaffst Du Dir im nächsten Jahre schon den Genuß unserer Ausstellung. Heute aber gehe mit mir im Geiste durch unsere Stände. Du sollst einen treuen Führer an mir haben. Hier Bergmänner als Kerzenträger in allen Größen und Ausführungen. Wie zur prächtigen Parade stehen sie da: die Knappen, Ganghäuer, Steiger und Obersteiger! Die steifen und eckigen Formen von früher sind verschwunden. Leben atmen sie jetzt. Komme weiter! Sieh! Engel und Türken ebenfalls als Lichtträger. Weihnachten, das Fest des Lichtes und der Liebe, will viel Licht haben. Herolde und Wehrwolfmänner. Ein Feuerwehrmann, wie er leibt und lebt. Im dritten Stand: Heilandsgestalten, eine Tellgruppe, kleine Bergleute fürs bewegliche Bergwerk, Turner und dergleichen mehr. Sieh! Botenmann und Botenfrau ziehen schwer bepackt ihres Wegs. Der junge Waldarbeiter liebäugelt mit der schmucken Klöpplerin, die „zu Rocken“ gehen will. Der alte schnauzbärtige Nachtwächter schaut neidisch auf die Gruppe hin. Die Zwerglein kichern sich eins. Auf der Gegenseite: Schafe für das Hirtenfeld, eine niedliche Pyramide, und nicht zuletzt Köpfe fürs Kasperletheater, von Schulknaben geschnitzt, ebenso Pilze und andere kleine Figuren. Schade, daß uns kein geeigneter Schnitzraum zur Verfügung steht, um unsere Jungen nach etwas Methode zu unserem würdigen Nachwuchs heranzubilden. An Meistern fehlt es nicht.
Weiter links: Hintergrundlandschaften für Krippenbau. Davor gediegene Krippenfiguren: Die drei Könige aus dem Morgenlande streben sehnsuchtsvollen Herzens der jüdischen Metropole, der Stadt Jerusalem, zu, wo sie den neugeborenen König zu finden hoffen. Weiter: Zieraten für eine Pyramide. Eine größere Pyramide im Gang. Herrschaftliche Puppenstubenmöbel. Niedliche Bilderrahmungen. Beschauenswerte Gemälde. Stand- und Hängeleuchter, hier in feinerer, dort in massiverer Ausführung. Vieles habe ich Dich bis jetzt schauen lassen, aber ausstellungsmüde darfst Du noch nicht sein. Jetzt hin zum Lichtermeer! Hier ein beweglicher Aufbau, Sommerleben darstellend, daneben ein Stück Schlettauer Jahrmarkt (ein Riesenrad mit vielen elektrischen Lämpchen), ferner eine peinlichst bis ins Kleinste ausgestattete erzgebirgische Posamentierstube (ich sage Dir: eine Arbeit sondergleichen). Und zum Schluß noch etwas für jeden Krippenbauer: Antriebswerke verschiedener Art. Hier ist der Stand, wo Du, lieber Freund, Dein kleines durch ein größeres Werk ersetzen könntest.
Du siehst, unsere Ausstellung ist vielseitig. Den Hauptbestandteil aber bilden die Schnitzereien. Berufs- oder Kunstschnitzer sind wir alle nicht. In unserer Vereinigung wollen wir nur als Liebhaber unsere Neigung zum körperlichen Gestalten pflegen und uns vor allem eine Weihnachtsfreude selbst bereiten. Die Oeffentlichkeit brauchen wir trotzdem nicht zu scheuen. Und wenn der Beschauer mit dem Gedanken, daß ihm hier Einblick in schlichte, echt volkstümliche Kunst gewährt wird, in unsere ausstellungen kommt, dann wird auch kein einseitiges oder ungerechtes Urteil von ihm gefällt werden, im Gegenteil, er wird mit Gefühlen der Freude und Befriedigung von dannen gehen. Die aber, die mit einem Lächeln und Achselzucken über unsere gute Sache urteilen wollen, die halten wir uns ferne mit den Worten eines Annaberger Dichters, der da sagt:
„Drum soll mir keiner das Gebirge schelten.
Da wohnt im schlichten Volk noch fromme Kunst,
Und mag sie in der stolzen Welt nichts gelten,
Beim lieben Gotte steht sie hoch in Gunst.“
Gern hätte ich Dir noch den Verlauf eines unserer Schnitzabende (wir schnitzen reihum bei den Mitgliedern) geschildert, doch – was zu viel ist, das ist zu viel – jetzt mache ich Schluß. Ueberdies höre ich es 8 Uhr schlagen. Sogleich werden die Fanfaren der Turmbläser durch die Lüfte klingen. Diese mir liebgewordene Adventsmusik darf ich mir nicht entgehen lassen und namentlich heute, wo es so weihnachtlich kalt und windstill ist. Also das nächste Mal noch mehr. Am besten, Du kommst einmal und verlebst einen Abend bei uns Schnitzern mit. Eine von uns geschnitzte Figur darfst Du Dir dann auch auswählen. Wir haben für unvorhergesehene Fälle immer etwas auf Lager. Heute lege ich Dir einige Lichtbilder bei, die bei unserer 4. Ausstellung im Jahre 1924 entstanden sind. Ich tue dies, damit Du einen kleinen Vorgenuß hast.
Feiere im Kreise Deiner Lieben, die ich herzlichst grüßen lasse, ein froh Weihnachten im erzgebirgischen Sinne und gedenke dabei Deines getreuen Schulkameraden und Jugendfreundes
Fritz.
Schlettauer Heimatblätter. 1. Jahrgang, Nr. 5 v. 15. Januar 1926, S. 3 – 4