Von Schuldirektor Paul Thomas.
Gar tiefer Sinn liegt oft im kind´schen Spiel, hat ein Dichter einmal behauptet, und wer wollte dem Dichter darin nicht recht geben? Viele Kinderspiele sind zurückzuführen auf alte heidnische Gebräuche und Kulte oder auf Zeremonien ähnlicher Art aus der Zeit der ersten Christenheit. Wenn am Fastnachtstage unsere Jugend durch die Straßen zieht, mit allerhand Mummenschanz die Häuser belagert und ihre Kräppelverse vom Stapel läßt, dann sollte man sich erinnern, daß auch hinter diesen Fastnachtsumzügen Erinnerungen an Sitten und Gebräuche unserer Altvorderen fortleben wollen.
Was heißt fasten? Ueber die Bedeutung des Wortes herrscht im Lager der Sprachgelehrten durchaus keine Einigkeit. Die einen wollen das Wort von „fest“ ableiten. Die alten Germanen kannten ein Fasten, d. h. ein „festes“ Sichbinden an den Genuß bestimmter Festspeisen, die zuerst den Seelengeistern vorgesetzt wurden, wobei man sich „feste Fesseln“ der Entsagung zu Gunsten der Toten auferlegte und den Seelengeistern nichts vorwegnehmen durfte von den Speisen, die eine bestimmte Zeitlang zu Gunsten der Totengeister unberührt gelassen wurden. (Höfler.)
Es ist bekannt, daß beispielsweise auch die alten Griechen die Trauer über einen verstorbenen Anverwandten durch ein dreitägiges Fasten zum Ausdruck brachten. Von Achilles erzählt die Sage, daß er um seinen Freund Patroklus fastete bis zum Sonnenuntergang. Aehnliches weiß das Nibelungenlied zu berichten. Siegmunds Mannen fasteten nach Siegfrieds Tode ebenfalls drei Tage lang. Es heißt im Liede:
Da was etlichen der trier toge lane
Vor dem grozen leide nicht az noch trane.
(Da war mancher, der drei Tage lang
Vor dem großen Leide nichts aß noch trank.)
Andere Sprachforscher leiten aber das Wort „fasten“ von „fasen“, d. h. scherzen, spielen ab, das in der sogenannten Frequentativform (Häufigkeits-Wiederholungsform) „faseln“ heißt und dann soviel wie viel Unsinntreiben bedeutet. Fastnacht wäre also dann ein Tag, bezw. eine Nacht, in der viel gefaselt wird. In der erzgebirgischen Gassensprache haben wir bekanntlich den Ausdruck „Fosend“. Da mundartliche Bildungen sehr oft treffende sprachgeschichtliche Aufklärungen geben, so möchte man fast denen zustimmen, die das Wort „fasten“ mit „faseln“ in Verbindung bringen.
Wie dem aber auch sei, uns interessiert heute einmal die Rolle, die die Brezel im Fastnachtsgetriebe spielt. (Andere Schreibweisen sind Bretzel, auch Pretzel und Prezel.) Schon aus der verschiedenen Schreibweise dürfte zu ersehen sein, daß auch hier die sprachliche Ableitung keine einheitliche ist. Die die Schreibweise Prezel vorziehen, möchten das Wort von dem lateinischen Worte „Pretium“, d. i. Preis, „Pretiolum“, d. i. Preislein ableiten. In einer alten Schulchronik las ich einmal den Vers:
Brezel heißt pretiolum
ein Preislein für die Kinder.
Ich will dabei erinnern, daß bei den Schulfesten im 15., 16. und 17. Jahrhundert, wohl auch noch späterhin, bei den Gregoriusumzügen und den Singeumgängen an die Schulkinder Brezeln als Preise verteilt wurden.
Andere Kenner der Kulturgeschichte lehnen diese Ableitung ab. Nach ihrer Meinung ist die Brezel eine Nachbildung der Armspange, die in der heidnischen Vorzeit den Toten sehr gern als Grabbeigabe mitgegeben wurden. Während wir heute den Toten durch Blumen und Kränze eine letzte Ehrung erweisen, so opferte man früher allerhand wertvolle Gegenstände, die man dem Verstorbenen mit in sein Grab gab. Bei Aufdeckung alter Gräber hat man wiederholt schon derartige Grabbeigaben gefunden, die nicht selten einen ungeheuren Wert in sich gefaßt haben. Späterhin sind jedoch diese wertvollen Metallgegenstände und Kostbarkeiten anderer Art durch sogenannte Gebildbrote – Nachahmungen in Teigform – ersetzt worden. So kehrt, um nur ein Beispiel zu geben, der Frauenzopf in einem haarzopfähnlichen Gebildbrote wieder, das wir heute im Gebirge noch sehr gut kennen. Die beliebten Zäppel sind nichts anderes als die symbolische Nachbildung des Frauenzopfes, der in der altheidnischen Vorzeit sehr oft die Rolle einer Grabbeigabe spielen mußte.
So ist nun auch die altbekannte Brezel die Nachbildung einer solchen Opfergabe, und zwar versinnbildlicht dieses Gebildbrot die Armspange, das Armband, die Armringe, Gegenstände also, die mit Vorliebe als Grabbeigabe verwendet wurden.
Die Armspange wird im Spätlateinischen Bracellum, Bracille genannt, im Althochdeutschen finden wir die Bezeichnung Brecila, auch Preczen und Brecellum. Die sprachliche Fortentwicklung dieser früh- und mittelalterlichen Wortformen bis zu Brezel liegt also so nahe, daß über die Etymologie des Wortes Brezel keine Zweifel mehr bestehen sollten.
Nun wissen wir aber weiter, daß die christlichen Sendboten klugerweise die alten heidnischen Sitten und Gebräuche nicht ausmerzten, sondern daß sie nach Möglichkeit die heidnischen Ideen in die christliche Gedankenwelt umzudeuten versuchten. So erging es auch den Gebildbroten. Im Christstollen sah man nun das Wickelkind Jesu; der Pfannkuchen wurde der Schwamm, den man – mit Essig getränkt – dem dürstenden Heiland am Kreuze reichte. Die Brezel aber sollte nach christlicher Auffassung die verschlungenen Riemen der Geißel darstellen, die die römischen Kriegsknechte bei Jesu Verurteilung über seinem Rücken schwangen.
Man kann in der Fastnachtszeit in Deutschland hinkommen, wohin man will, überall – in Schlesien, in der Pfalz, im Anhaltischen usw. – aber auch in den Nachbarländern, wie in Böhmen und Belgien, da ist die Brezel das landläufige Fastnachtsgebäck. Da nun auch bei uns im Erzgebirge diese Brezeln zur „Fosend“ nicht fehlen dürfen, so hielt ich es für nicht ganz überflüssig, einmal ein wenig über den Sinn und die Geschichte der Brezel zu plaudern.
Schlettauer Heimatblätter. 1. Jahrgang, Nr. 6 v. 15. Februar 1926, S. 1 – 2