Von Oberlehrer Gustav Röhling.
Ein Weihnachtsbrief.
Schlettau, im Advent 1925.
Mein lieber Gottfried!
Wenn der Erzgebirger unverhofften Besuch bekommt, da empfängt er ihn ganz gewiß mit den derben Worten: Do möchte mr doch geleich ´ne Ufn eischmeißn! So hätte auch ich rufen mögen beim Empfang Deines Briefes, des ersten wieder seit Kriegsende. In Vergessenheit bin ich bei Dir also noch nicht gekommen. Und alles, was Du mir da zu erzählen und mich zu fragen hast, verrät – gestehe es ruhig ein – Sehnsucht nach einem Weihnachten im Erzgebirge – in der lieben Heimat. Aber so komme doch zum diesjährigen Feste! Komme mit Weib und Kind, Du alter, lieber, Jugendfreund! Du sollst mir hoch willkommen sein! Ach so, Du kannst ja nicht abkommen; wie schade. Dann mußt Du eben erzgebirgische Weihnacht in Deiner geräuschvollen Großstadt feiern, wie Du es wohl bisher gehalten hast. Als Du einst von uns gingst, zeigtest Du mir unter dem Umzugsgute eine große Kiste mit der Aufschrift „Weihnachtsraritäten“. Ich weiß ja, was Du alles Dein eigen nennst: Die Einrichtung zu einer Ecke mit Christgeburt und Bergwerk, einen vom seligen Härtel-Louis geschnitzten Bergmann, einen pauspäckigen Weihnachtsengel vom Annaberger Niklasmarkt und dergleichen mehr. Unvergeßlich werden mir die Stunden bleiben, wo wir beide im traulichen Stübchen Deine bewegliche Ecke zusammenbastelten. Wir konnten die Adventszeit gar nicht erwarten. Klingt Dir nicht des Crottendorfer Sängers Lied durch die Seele: „Nu kimmt ah ganz sachte Weihnachtn mit ra, dr Fried schnitzt an Krippl, dr Ward, dar schtreicht a.“ Was mögen Deine Nachbarn und Bekannten dort in weiter Ferne zu Deinen wunderlichen Weihnachtsbauten und -figuren gesagt haben? Ob sie Dich verstanden haben? Du hast doch hoffentlich diejenigen, die sich darüber lustig machen wollten, gehörig heimgeleuchtet.
Deine Frage, ob die erzgebirgischen Advents- und Weihnachtsbräuche auch nach dem schweren Kriege noch gepflegt werden, kann ich – gottlob – mit einem kräftigen Ja beantworten. Mit Recht hat man das Erzgebirge „Das Weihnachtsland“ genannt; denn nirgends in den deutschen Landen wird der Geburtstag des Christkindes so feinsinnig und herzinnig gefeiert, wie hier in unserm Gebirge, und diesen guten Ruf, dieses Ausgezeichnetsein vor anderen deutschen Gegenden, will sich´s auch nicht nehmen lassen. Es ist in dieser Beziehung nicht bloß beim Alten aus unserer seligen Knabenzeit geblieben, es ist auch schönes Neues hinzugekommen. Besonders der Adventsgedanke wird jetzt noch mehr zum sichtbaren Ausdruck gebracht. Da hat uns die weltbekannte Firma Gebr. Pilz vor etlichen Jahren ein sogenanntes „Adventshäuschen“ beschert, und pünktlich mit dem 1. Advent erscheinen sie wie auf Kommando an den Fenstern unserer Schlettauer zur großen Freude der Jugend. Ich bitte Dich, verzichte heute auf eine nähere Beschreibung desselben. Nächstes Jahr soll auch Dein Fenster eins zieren. Auch die stillleuchtenden Adventssterne bürgern sich immer mehr bei uns ein. Auffallend ist es gerade in diesem Jahr, wie sehr sie an Zahl zugenommen haben. In majestätischer Ruhe strahlen diese zarten roten und weißen Gebilde hinaus auf die schneeige Flur, der Menschen Gedanken hinzulenken auf den hellen Stern von Bethlehem.
Schon längst hat der Krippenbauer das Gestänge, Kisten und Schachteln mit dem „Weihnachtszeug“ aus der Kammer hervorgeholt, und bis in die späte Nacht hinein sitzt er nun und baut und bästelt. Du kennst es ja. Und die Jungen von heute sind wie die von ehedem, sie denken nicht ans Schlafengehen. Hier ist es eine Ecke, die dies Jahr „lebendig“, dort ein Bergwerk, das nach einem neuen Plan umgebaut werden soll. Der arbeitet an einer „Peremett“, und jener schnitzt einen Türken. Gerade die Schnitzerei hat in den letzten Jahren einen verheißungsvollen Aufschwung genommen und recht gute Erfolge gezeitigt. Wir verdanken sie dem Zustandekommen eines Schnitzvereins, dem anzugehören ich die Ehre habe. Lieber Gottfried, das wäre auch etwas für Dich alten Bästelbruder. Rück´ näher, mein Lieber, und laß Dir in folgendem etwas wenigstens – das Wichtigste – von unserer „Schlettauer Schnitzervereinigung“ erzählen.
Die Entstehung unserer Vereinigung ist eigenartig. Für den 29. Dezember 1920 hatte unser Oberlehrer Röhling die Besitzer und Liebhaber von Weihnachtsecken u. dergl. zu einer Versammlung nach Beyers Bierquelle geladen. Es handelte sich damals um die Besichtigung des Weihnachtsberges des „Glückauf-Vereins“ in Neustädtel, der Heimat unseres Oberlehrers. Diesen Weihnachtsberg – 20 Meter lang, 3 Meter tief –, von dem ein berühmt gewordener geb. Erzgebirger (Kurt Arnold Findeisen, Dresden) schreibt, daß er sich mit unbeeinflußter Sicherheit, nur aus einer rührenden Konsequenz des Herzens heraus, aus der mütterlichen Scholle aufbaut, müßte eigentlich jeder Freund erzgebirgischer Weihnachtskunst gesehen haben. So manchem Schlettauer Berg- und Krippenbauer war es vergönnt, ihn zu sehen; denn am 2. Januar 1921 kam unsere Reise zustande. Ueber das, was wir dort in N. Schönes an Aufbau und Schnitzereien beschauen durften, mußte nun denen, die nicht an der Weihnachtsfahrt teilgenommen hatten, ausführlicher Bericht erstattet werden. Das geschah in einer Nachversammlung am 26. Januar, über die ich in nächster Nummer berichten und meinen Brief fortsetzen werde.
Schlettauer Heimatblätter. 1. Jahrgang, Nr. 4 v. 23. Dezember 1925, S. 11 – 12