Wo keine Liebe zur festständigen Heimat ist, da ist auch keine zum Vaterland. Ein Blatt, das vom Baume gerissen ist, flattert noch eine Weile raschelnd im Herbstwind hin und her, ehe es sinkt und verwest.
Rosegger, Jakob der Letzte.
Ihr lieben Kinder!
Durch unsern Heimatboten entbiete ich Euch allen die herzlichsten Wünsche für Euer Wohlergehen im neuen Jahre. Ihr glaubt nicht, wie ich mich auf das Jahr 1926 gefreut hatte. Hoffte ich doch, Euch im Juli alle wieder einmal bei mir zu sehen. Und die zahllosen Briefe aus weiter Ferne, selbst von drüben aus Amerika, haben es mir bestätigt, daß ich Eurer Sehnsucht entgegengekommen war, als ich Euch zu einem Heimatfeste für das Jahr 1926 einlud. Ja, das sollten Festtage sondergleichen werden.
Aber, liebe Kinder, ich bin krank ins neue Jahr eingetreten. Die furchtbare Epidemie, die auf wirtschaftlichem Gebiete das ganze große Vaterland in Ruhe und Schrecken setzt, hat auch mich gepackt und bettlägerig gemacht. Ich weiß deshalb heute noch nicht, ob ich bis zu dem Zeitpunkte, wo wir die Vorbereitungen zum Heimatfeste ernstlich in Angriff nehmen müßten, soweit wieder hergestellt sein werde, daß ich mich für eine in jeder Hinsicht zufriedenstellende Ausrichtung des Festes verbürgen könnte. Sollte der krankhafte Zustand anhalten, dann müßte ich Euch, so leid mir das auch sein würde, doch ermahnen, noch ein Jahr Eure Sehnsucht nach daheim im Zaume zu halten. Ich denke, in 6 bis 8 Wochen wird sich doch wohl entgültig erkennen lassen, ob meine wirtschaftlichen Kräfte wieder so hergestellt sein werden, daß ich unbedenklich die Inszenierung des geplanten Festes für dieses Jahr weiter betreiben kann. Im Märzboten sage ich Euch also dann bestimmten Bescheid. Bis dahin Geduld!
Bei dieser Gelegenheit will ich aber nicht versäumen, Euch recht herzlich zu danken für die vielen Anerkennungen, die Ihr unserm Heimatboten gezollt habt. Wenn da einer von Euch schreibt: „So was mußte schon lange kommen“, oder eine hochbetagte Schlettauerin: „Ich kann es gar nicht erwarten, bis die neuen Heimatblätter kommen“, und in ähnlichem Sinne noch viele andere, so will ich´s Euch nur auch sagen, daß der Heimatbote nicht überall solch freundliche Aufnahme gefunden hat wie bei Euch in der Ferne. „Was hat uns der zu sagen?“, so urteilte man hier im Orte bei seinem erstmaligen Erscheinen und wies ihm kühl die Tür. Aber die Muhme ist – Gott sei Dank – etwas hartgesotten, und sie hat den Boten immer und immer wieder geschickt, bis der Widerstand überwunden war, und so ist nun heute der Heimatbote in allen Häusern und fast kann ich sagen, in allen Familien ein gern gesehener Gast, dem man auch hier mit Ungeduld entgegenschaut. So sind die Heimatblätter – in dieser Absicht habe ich sie auch ins Leben gerufen – ein Band zwischen mir und meiner weitverbreiteten Kinderschar geworden, und ich habe die bestimmte Hoffnung, daß die alte Anhänglichkeit an Eure getreue Muhme durch die Heimatblätter immer neue Antriebe erhält.
Aber den einen Wunsch habt Ihr mir noch nicht erfüllt. Ich hatte Euch doch herzlich gebeten, den Heimatboten auch gelegentlich mit ausstatten zu helfen. Wer von Euch schickt denn nun endlich einmal etwas zu seiner Ausstaffierung? Gerade das wird noch vermißt, daß die ehemaligen Schlettauer bisher noch nicht zu Worte gekommen sind in den Heimatblättern. Drum, auf zur Mitarbeit, gebt aus Euern Erinnerungen etwas zum Besten, und Ihr werdet finden, wie dankbar man auch für den kleinsten Beitrag ist, wenn er den Erdgeruch der Heimat spüren läßt und wenn Ihr´s aus Eurer Seele heraus gebt.
Eure Muhme.
Schlettauer Heimatblätter. 1. Jahrgang, Nr. 5 v. 15. Januar 1926, S. 1 – 2