In der rechten oberen Ecke des Heimatfestplakates hat der Künstler Karl Haase-Annaberg in zurückhaltender, doch wirksamer Weise auch das Mönchsgesicht von der Schlettauer Kirchenmauer, das Wahrzeichen Schlettaus, angebracht. Was es mit diesem Gesicht für eine Bewandtnis hat, das hat uns Ernst Widar Ziehnert, der Sohn des Schlettauer Pfarrers Johann Gottlieb Ziehnert, in volkstümlichen Reimen erzählt. Widar Ziehnert hat sich um die Sammlung und Bearbeitung sächsischer Volkssagen ein großes Verdienst erworben. Sein Volksbuch: „Sachsens Volkssagen, Balladen, Romanzen und Legenden“ erschien zuerst 1835 in Annaberg bei Rudolph und Diterici, und erschien vor nicht allzu langer Zeit in 6. Auflage. Die Sage vom Mönchsgesicht steht in dem Buche an 5. Stelle. Sie lautet:
Das Mönchsgesicht an der Kirche zu Schlettau.
Im Pfarrhaus zu Schlettau um Mitternacht
Saß sinnend der dasige Pater
Johns Kottne. Da trat ganz leis´ und sacht
Ins Zimmer ein fremder Confrater,
Und frug — es klang so schauerlich —
„Ehrwürdiger Kottne, kennst Du mich?“
Der Pater verneint´ es in ängstlicher Hast,
Den nächtlichen Wandrer zu kennen.
Da begann der bleiche, hohläugige Gast:
„Dir nur, Dir will ich mich nennen:
Mein Nam´ ist Benno. Hundert Jahr
Ist´s nun, seitdem ich hier Pater war.
Da nahte, Unheil schon dräuend von fern,
Der Zug der Hussiten. Wir hörten
Mit Schrecken, wie sie in den Häusern des Herrn
Altäre und Bilder zerstörten.
Die Altargewänder, der Kirche Zier.
Und die heil´gen Gefäße vergruben wir.
Ein silbern´ Kruzifix stand noch allein
Auf dem Altar. In Hora und Metten
Zum Trost in den Aengsten bedurften wie sein;
Jetzt mußt ich in Eile es retten.
Ein Loch in die Kirchmau´r hat ich gemacht,
Da mauert´ ich´s ein um Mitternacht.
Nach Morgen hin, hinter dem Hochaltar,
Acht Ellen über der Erden,
Da ist die Stelle, sie wird dir klar
Durch ein flimmerndes Lichtlein werden.
Dort verbarg ich das heilige Gottesbild;
Die fromme Arbeit, bald war sie erfüllt.
Denn die Steine, sie fügten so willig sich,
Die Heiligen sandten mir Stärke
Zur mühvollen Arbeit. Wie freut ich mich
Ob dem herrlich gelungenen Werke!
Es war mein letztes! Der Morgen trug
Den Feind heran, der mich erschlug.“
Er sprachs. — Grell klirrte ein Donnerschlag,
Gleich nächtlichem Wetterleuchten
Durchzuckte ein Schein das düstre Gemach. —
Eins schlug es. Wie Geisterbann scheuchten
Die Glockenklänge den seltsamen Gast;
Er verschwand in stummer, gespenstiger Hast.
Und Kottne, der fromme Pater, saß,
Als hätt´ ihn der Donner getroffen,
Nachstiert er erschrocken und leichenblaß
Dem Fremdling. — Die Tür, noch offen,
Läßt deutlich ihn seh´n, wie die Geistergestalt
Im luftigen Schweben zum Kirchhof wallt.
Die Ampel verlosch. — Nach stillem Gebet
Warf Kottne aufs Lager sich nieder;
Doch der Schlummer flieht ihn. Ernst vor ihm
Steht der Greis und weichet nicht wieder,
Bis der grauende Tag durchs Fenster dringt,
Und die Mettenglocke vom Turme klingt.
Da zieht den Talar er emsig an,
Und eilt zur nahen Kapelle,
Dort harrt schon seiner der Sakristan,
Mit Cingulum [1], Wedel und Schelle:
„Hochwürd´ger Pater, was ist mit euch?
Ihr seht so krank, so totenbleich!“
Und Kottne, ohn´ Argwohn vertraute fortan
Die seltsame Geistergeschichte
Dem aufmerksam lauschenden Sakristan,
Und fügt noch zum kurzen Berichte
Die Mahnung: „Stellt morgen um Mittag Euch ein,
Mit Hammer und Schlegel zur Hand mir zu sein.“
Ernst sinnend bejaht es der Sakristan:
„An mir soll´s nimmer Euch fehlen!“
Doch trug er im Herzen den sündigen Plan,
Der Kirche das Kleinod zu stehlen.
Schon zeigt ihm jeglicher Augenblick
In lockenden Bildern des Reichtums Glück.
Hoch stand der Mond; sein bleiches Licht
Uebergoß mit magischer Helle
Das Städtlein. — Da schleicht der Bösewicht
Scheu blickend zur nahen Kapelle.
Fahrt [2], Schlägel und Eisen, die heimlich er trug
Zur gräßlichsten Sünde war´s genug!
Sein Gewissen schläft. — Leis´ legt er die Fahrt
Hinterm Hochaltar an die Mauer.
Da flimmert ein Lichtlein von seltsamer Art,
Ihn ergreift´s, wie Totenschauer.
Doch den Dieb scheucht nimmer das Heilige fort!
„Das leuchtet wie Silber, hier ist der Ort!“
Und er hämmert behend. Bald weicht das Gestein
Des Hammers dumpf hallenden Schlägen,
Da blinkt ihm im zitternden Mondenschein
Das Gottesbild funkelnd entgegen.
„Du“, ruft er in frevelndem Uebermut, —
„Du nützt mir nichts, doch das Silber ist gut!“
Die alte Mutter Kirche ist reich —
Ich arm; was soll ich noch fragen?“
So frevelt der Mund. Der Arm hat sogleich
Das Bildnis in Trümmer geschlagen.
Doch wehe Dir dreimal, Sakristan!
Die Glocken schlagen zum Sturme an.
Der fromme Kottne im Schlaf erschrickt,
Wild weckt ihn das bange Geläute.
Er eilt zum Fenster, und schaudernd erblickt
Er Licht in dem heil´gen Gebäude,
Nicht flackernd wie Feuer, so seltsam bleich
Wie Widerschein aus dem höllischen Reich.
Und er eilt hinaus. Da harren schon sein
Die Bürger, sich Rats zu erholen.
„Was ist in der Kirche? Welch seltsamer Schein?
Habt Ihr wohl das Läuten befohlen?“
„Nichts weiß ich“, spricht Kottne.
„Kommt laßt uns sehn,
Mir ahnt, in der Kirche ist Greul geschehen!“
Ihm trägt — noch fehlet der Sakristan —
Ein Bürger Weihwasser entgegen,
Und zündet die heiligen Kerzen an,
Inbrünstig spricht Kottne den Segen;
So naht der Kapelle der fromme Zug,
Der Pater voran, der ein Kruzifix trug.
Und betend tritt er ins Gotteshaus ein,
Und ruft mit gläubigem Herzen:
„Gott, Vater im Himmel, erbarme Dich mein!“
Und schwenkt die geweihten Kerzen.
Da verstummen die Glocken; das Kerzenlicht
Fällt auf den zerschmetterten Bösewicht.
Entsetzt vor dem Anblick faßt Kottne ihn an:
„O Jesu! Soll ichs glauben?
Im Blute hier zuckt der Sakristan,
Er wollte die Kirche berauben!
Das Silber, der Hammer? — O Bösewicht,
Dich richtete Gott im gerechten Gericht!“
Und jeder bebt, als die Leich´ er erkennt,
Denn glatt, wie vom Blutrichterschwerte,
War der tückische Schädel vom Rumpfe getrennt,
Doch fand der sich nicht an der Erde.
Sie leuchten empor. Da zuckte noch
Der Kopf des Verbrechers im Mauerloch.
„So eilt“, ruft Kottne im stillen Schmerz,
„Die Spuren der Sünde zu decken.
Den Kopf, das Angesicht morgenwärts,
Mauert ein. Zum ewigen Schrecken
Den Räubern und Dieben schau er hinaus,
Und bewahr vor Entweihung das Gotteshaus.“
Was der Pater gebot, rasch war es getan.
Hinaus aus der heil´gen Kapelle
Tragen zwei der Bürger den Sakristan,
Die andern säubern die Stelle.
Und Kottne sammelt das heilige Erz:
„Mein Heiland zerschlagen!“ —
Ihm blutet das Herz.
Schnell hatte die Kunde das Städtlein erfüllt;
Herbei in wildem Gedränge
Kommt jetzt und küßt das zerschlagene Bild
Der Bürger gläubige Menge.
Der Pater winkt, und siehe, geschwind,
Als wär´ es zur Zeit, die Metten beginnt.
Der Morgen graut, die Metten ist aus,
Bewegt sie alle heimgehen,
Doch morgenwärts vom Gotteshaus
Bleibt staunend die Menge stehen.
Denn außen an der Mauer sah´n
Sie das bleiche Gesicht des Sakristan.
Es war versteinert. Jahrhunderte sind
Seit dem grausen Ereignis vergangen.
Doch die Sage lebt fort; das lauschende Kind
Hat sie gläubig vom Vater empfangen.
Die Mauer ward schadhaft; man baute — allein
Zu vermauern, zu vertünchen war nimmer der Stein.
Noch jetzt schaut er drohend auf alle herab,
Die nächtlich der Kirche sich nahen;
Und sagt man, daß viele, so lange ein Grab
Noch offen, ihn weinen sahen.
Bleich glimmt, wenn Gefahren dem Städtchen dräu´n,
Des Kopfes Tonsur wie Schwefelschein.
[1] Gürtel zum Priestergewand.
[2] Leiter.
Schlettauer Heimatblätter. 2. Jahrgang, Nr. 8 v. 20. April 1927, S. 8 – 9.